In Wien wurde ich von vielen als zu höflich betrachtet, was sich auch im Nachteil äusserte, dass ich zuweilen sehr laut werden musste, um überhaupt Gehör zu finden, wenn ich zum Beispiel im Peek und Cloppenburg an der Kärnterstrasse fragte, ob es wohl dieses eine Diesel-Shirt, das mir gefallen hat, auch noch in einer anderen Grösse haben gäbe.

Gleichzeitig interpretiere ich die unverfrorene Direktheit eines Deutschen Verlags eher als unfreundlich, der mir auf meine Kündigung eines Abonnements folgendes geschrieben hat:
"Hallo. Kündigung ist angekommen. Tschüss"

Zu dieser Höflichkeitsdiskrepanz habe ich auf Blogwiese einen amüsanten Beitrag eben gelesen. Herr Tiel, der dort rezitiert wird, schägt den Nagel auf den Kopf:
"Die Deutschen mögen uns. Sie finden uns freundlich, was wir aber faktisch weder sind noch sein wollen. Wir bemühen uns bloss, höflich zu sein. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Wir Schweizer sind nicht freundlich, wir sind höflich. Die Höflichkeit ist eine grundlegend helvetische Tugend. Die Deutschen, bei deren Umgangsformen die Höflichkeit nicht zuvorderst steht, unterliegen dem Fehler, die schweizerische Höflichkeit als Freundlichkeit zu interpretieren. Daher kommt die Begeisterung der Deutschen für die Schweiz. Dass die Deutschen uns mögen, ist die Folge eines Missverständnisses."

Ein schöner Artikel, der nur der Völkerverständigung dienen kann.

deine diskrepanz kann ich vieleicht etwas auf heben. wir deutschen erleben in unserer servicelandschaft nur selten freundlichkeit und höflichkeit, wurde selbst schon beim einkauf mit nem kaffee abgefertigt, nicht für mich, für den mitarbeiter, begleitet mit dem fragenden blick: wie, immernoch da?????
wenn sie dann in der schweiz erleben, dass man in geschäften auch bedient wird, übertragen sie das auf die ganze nation.
ich hab ne eigene definition für die drei begriffe:
höflichkeit: gegenüber fremden, oder personen, die einem am abend nichts mehr bedeuten. begrüssung, verabschiedung, bitte, danke, der standard halt.
freundlichkeit: für freunde, die man mag. herzliche begrüssung und verabschiedung, fragen nach der befindlichkeit (hoffentlich ernstgemeinte antworten, nicht nur "mir gehts gut"), und hilfe, wenn hilfe benötigt wird, egal welcher art.
direktheit: nur anwendbar, wenn die betreffende person sehr mit dir verbunden ist (keine beziehung!!). du kannst mit ihr über ALLES reden, kannst ihr sagen, wenn sie gerade in den scheissetopf greift, oder wenn ihre beziehung in eine richtung läuft, die ihr schadet und sie es dir nicht übel nimmt, sondern darüber nachdenkt.

ich leb nicht nur in meinem schubladensystem, dass solltest du auch nicht. du bist nicht in erster linie schweizerin, sondern mensch. wenn dir einer dummkommt, scheiss ihn zusammen. wenn dich einer anpöbelt, pöbel zurück, aber besser, pack ihn bei seinen cohones, oder ignorier ihn einfach.

"höfligkeit ist eine tugend" hab ich mal gelesen, aber freundlichkeit und direktheit wollen verdient sein. also prinzessin, mein tipp: reg dich nicht über die leute auf, die dich schlech behandeln, sondern geniesse die zeit mit den leuten, denen du vertraust.
lg drache