Montag, 15. August 2011
dies und das...
Oh, wie das glitzert
liza iii., 20:40h
Interessanter Artikel zum Disco Revival - oder so called Nu-Disco
vom 12. August 2011 - NZZ online von Bjørn Schaeffner
Das Disco-Revival von Musikern wie Todd Terje, Locussolus, Kathy Diamond inspiriert die heutige Klubkultur «Dead as disco» – so heisst es in Quentin Tarantinos Film «Pulp Fiction». Aber tot ist Disco beileibe nicht. Im Gegenteil. So munter wie heute war die Mutter der Klubkultur schon lange nicht mehr. Und ohne Disco hätte es die Street Parade wohl nie gegeben.
In den Socken steht er da. Langbeinig hinter dem Mischpult. Todd Terje hat sich seines Fusswerks entledigt, denn ohne Schuhe lässt sich das Mixen bequemer verrichten. Das ist nicht gerade ein typischer Anblick für einen DJ, passt aber zur Wohlfühl-Mission des Norwegers. Terje legt Musik auf, die einen wie über einen flauschigen Teppich dahintanzen lässt. Disco! Schellendes Tamburin, eine rauchige Männerstimme salbadert, klanglicher Funkenregen sprüht aus den Boxen. Dazu rumpelt ein tiefer Bass. Disco, die rhythmische Liebesformel aus den Siebzigern, ist wieder einmal en vogue.
Britisch-norwegische Verschwörung
Terje hat mit seinem Stück «Snooze 4 Love» wohl das charmanteste Disco-Wiegenlied der Saison produziert. Überhaupt die Norweger: Zusammen mit seinen Kollegen Prins Thomas und Lindstrøm holte Terje das Genre in die Klubs zurück. Die bärtigen Discophilen aus Oslo spielten dabei, was ältere Genre-Helden wie DJ Harvey oder die Idjut Boys vorgemacht haben: eine dubbige, flächige und exzentrische Disco-Variante. Zwar sperrte sich dieser Sound gegen eine Kategorisierung; am ehesten noch wird ihm das Etikett «Balearic» gerecht. Da wird einem schwülen Anything-goes gehuldigt, das in den Achtzigern auf Ibiza vorab britische Plattenleger aus Italo-Disco, New Wave und Synthi-Pop entwickelten.
Den Erfolg dieser Disco-Verschwörung kann man als späte Wiedergutmachung ansehen. Denn Disco, das ist ein ziemliches Missverständnis. Legte die Musik vor vierzig Jahren im New Yorker Untergrund der Schwulenszene den Grundstein für das, was sich als heutige DJ- und Klubkultur breitflächig etablieren sollte, fand ein gutes Jahrzehnt später der Ausverkauf statt: Spätestens als Frank Sinatra seichte Disco-Platten einspielte, war der Begriff zu einer Marketing-Floskel mutiert. Acts wie Abba und die Bee Gees waren es, die sich in der Folge dem kollektiven Pop-Gedächtnis als Disco einprägen sollten – und nicht die stilbildenden DJ wie David Mancuso oder Larry Levan und auch nicht die technischen Innovatoren des Genres wie Francis Grasso oder Tom Moulton. Grasso erfand etwa das Beat-Mixen, das nahtlose Mischen von Platten, und damit das moderne DJ-Handwerk, während Moulton der Welt die Maxi-Single und die Mix-Compilation bescherte.
Das Erbe der Disco-Ära – es manifestiert sich heute auch im schier endlosen Strom sogenannter Edits, der sich in die Plattenläden ergiesst. Edits, das sind Neubearbeitungen von Klassikern oder Raritäten, bei der einzelne Song-Passagen frisch zusammengekleistert werden. Ein Metier, auf das sich rund um den Globus Disco-Nerds jeder Couleur spezialisiert haben. Der heutige Boom dieser Disco-Edits lässt sich bis in die Mitte der Neunziger zurückverfolgen: Das Revival fädelte da unter anderem ein gewisser DJ Harvey ein. Der Engländer hat ein weitschweifiges Verständnis von Disco, und das präsentiert der Charismatiker zurzeit auch unter dem Namen Locussolus. Auf einem Album, das wilde Haken schlägt: Neben vortrefflicher DJ-Ware findet man hier einen Indie-Schmuse-Song, da eine apokalyptische Ballade und dort eine von Prins Thomas und Lindstrøm gestemmte Coverversion von Bananaramas Achtziger-Jahre-Hit «Venus». Die trällert munter in Big-Band-Manier.
Einen konventionelleren Weg beschreitet die aus London stammende Crew Horse Meat Disco auf ihrer neusten Label-Compilation: Da wagen alte Helden wie Sylvester oder Loleatta Holloway ein Tänzchen mit den Disco-Protagonisten von heute: zum Beispiel Todd Terje. In den Liner-Notes zur Compilation schreibt der Disco-Connaisseur Danny Wang dazu: «Das hätten wir uns nicht träumen lassen, dass dieses Disco-Ding je so gross werden würde.» Der New Yorker wird es wissen, hielt er doch Disco zu einer Zeit die Treue, als in den Klubs ganz andere Beats regierten.
Der Einfluss von Disco ist auch sonst unüberhörbar. Spürbar langsamer tanzt es sich heute als noch vor fünf Jahren, als Minimal Techno den Takt angab. Die Popularität von Disco-Genres wie Balearic oder Nu-Disco hat zu dieser Entschleunigung im Klub geführt. Disco wird heute auch immer öfter mit Spielarten von House gekreuzt. Hybride Genres wie Slomo-House erfreuen sich gerade bei einem jüngeren Publikum enormer Popularität. Und selten waren so viele Samples von alten Disco-Platten in den Klubs zu hören – wenn auch zumeist in zerstückelter Form, die oft kaum mehr Aufschluss über das Original gibt.
Disco in Zürich
Ist der Disco-Zug auch in Zürich eingefahren? Eigentliche Veranstaltungen gibt es kaum. Die grosse Ausnahme ist das Dosci im Klub Zukunft, wo eine verschworene Gilde von Resident-DJ mitsamt internationalen Gästen jeden Donnerstag die Fahne der Disco-Kultur hochhält. Da kann dann schon einmal ein Abend lang obskure Italo-Disco aus den frühen Achtzigern laufen. Wahrscheinlicher ist aber, dass ein eklektischer Mix gespielt wird, von R'n'B, Soul, Boogie, Funk, Pop, House bis hin zu Hip-Hop. Man wolle nicht sektiererisch sein, erläutert Veranstalter Alex «Lexx» Storrer, den man mit Fug als wichtigsten Schweizer Balearic-Akteur bezeichnen darf.
Mit Kathy Diamond gastiert heute Freitag eine Grande Dame der zeitgenössischen Disco-Szene in der «Zukunft»: Die Sheffielder Sängerin mit der samtigen Stimme hat 2007 ein betörendes Album vorgelegt. Produziert hat es das Mastermind Maurice Fulton. Das klingt ein bisschen wie vor dreissig Jahren: Wehmütig schweben diese Songs in einem analogen Synthi-Rausch. «Watch me, see me, love me, push me, pull me», singt Diamond in «All Woman». Ihre Sirenenstimme klirrt über einem verführerisch-wankenden Bass. Oh, wie das glitzert.
Todd Terje: Ragysh (EP, Running Back / WordandSound). Todd Terje: Remaster of the Universe (Permanent Vacation). – Locussolus: Locussolus (International Feel / Rough Trade). – Horse Meat Disco: Horse Meat Disco 3 (Strut/Alive). – Kathy Diamond: Miss Diamond to You (Permanent Vacation / Rough Trade); Diamond tritt heute Freitag in Zürich im Klub Zukunft auf.
vom 12. August 2011 - NZZ online von Bjørn Schaeffner
Das Disco-Revival von Musikern wie Todd Terje, Locussolus, Kathy Diamond inspiriert die heutige Klubkultur «Dead as disco» – so heisst es in Quentin Tarantinos Film «Pulp Fiction». Aber tot ist Disco beileibe nicht. Im Gegenteil. So munter wie heute war die Mutter der Klubkultur schon lange nicht mehr. Und ohne Disco hätte es die Street Parade wohl nie gegeben.
In den Socken steht er da. Langbeinig hinter dem Mischpult. Todd Terje hat sich seines Fusswerks entledigt, denn ohne Schuhe lässt sich das Mixen bequemer verrichten. Das ist nicht gerade ein typischer Anblick für einen DJ, passt aber zur Wohlfühl-Mission des Norwegers. Terje legt Musik auf, die einen wie über einen flauschigen Teppich dahintanzen lässt. Disco! Schellendes Tamburin, eine rauchige Männerstimme salbadert, klanglicher Funkenregen sprüht aus den Boxen. Dazu rumpelt ein tiefer Bass. Disco, die rhythmische Liebesformel aus den Siebzigern, ist wieder einmal en vogue.
Britisch-norwegische Verschwörung
Terje hat mit seinem Stück «Snooze 4 Love» wohl das charmanteste Disco-Wiegenlied der Saison produziert. Überhaupt die Norweger: Zusammen mit seinen Kollegen Prins Thomas und Lindstrøm holte Terje das Genre in die Klubs zurück. Die bärtigen Discophilen aus Oslo spielten dabei, was ältere Genre-Helden wie DJ Harvey oder die Idjut Boys vorgemacht haben: eine dubbige, flächige und exzentrische Disco-Variante. Zwar sperrte sich dieser Sound gegen eine Kategorisierung; am ehesten noch wird ihm das Etikett «Balearic» gerecht. Da wird einem schwülen Anything-goes gehuldigt, das in den Achtzigern auf Ibiza vorab britische Plattenleger aus Italo-Disco, New Wave und Synthi-Pop entwickelten.
Den Erfolg dieser Disco-Verschwörung kann man als späte Wiedergutmachung ansehen. Denn Disco, das ist ein ziemliches Missverständnis. Legte die Musik vor vierzig Jahren im New Yorker Untergrund der Schwulenszene den Grundstein für das, was sich als heutige DJ- und Klubkultur breitflächig etablieren sollte, fand ein gutes Jahrzehnt später der Ausverkauf statt: Spätestens als Frank Sinatra seichte Disco-Platten einspielte, war der Begriff zu einer Marketing-Floskel mutiert. Acts wie Abba und die Bee Gees waren es, die sich in der Folge dem kollektiven Pop-Gedächtnis als Disco einprägen sollten – und nicht die stilbildenden DJ wie David Mancuso oder Larry Levan und auch nicht die technischen Innovatoren des Genres wie Francis Grasso oder Tom Moulton. Grasso erfand etwa das Beat-Mixen, das nahtlose Mischen von Platten, und damit das moderne DJ-Handwerk, während Moulton der Welt die Maxi-Single und die Mix-Compilation bescherte.
Das Erbe der Disco-Ära – es manifestiert sich heute auch im schier endlosen Strom sogenannter Edits, der sich in die Plattenläden ergiesst. Edits, das sind Neubearbeitungen von Klassikern oder Raritäten, bei der einzelne Song-Passagen frisch zusammengekleistert werden. Ein Metier, auf das sich rund um den Globus Disco-Nerds jeder Couleur spezialisiert haben. Der heutige Boom dieser Disco-Edits lässt sich bis in die Mitte der Neunziger zurückverfolgen: Das Revival fädelte da unter anderem ein gewisser DJ Harvey ein. Der Engländer hat ein weitschweifiges Verständnis von Disco, und das präsentiert der Charismatiker zurzeit auch unter dem Namen Locussolus. Auf einem Album, das wilde Haken schlägt: Neben vortrefflicher DJ-Ware findet man hier einen Indie-Schmuse-Song, da eine apokalyptische Ballade und dort eine von Prins Thomas und Lindstrøm gestemmte Coverversion von Bananaramas Achtziger-Jahre-Hit «Venus». Die trällert munter in Big-Band-Manier.
Einen konventionelleren Weg beschreitet die aus London stammende Crew Horse Meat Disco auf ihrer neusten Label-Compilation: Da wagen alte Helden wie Sylvester oder Loleatta Holloway ein Tänzchen mit den Disco-Protagonisten von heute: zum Beispiel Todd Terje. In den Liner-Notes zur Compilation schreibt der Disco-Connaisseur Danny Wang dazu: «Das hätten wir uns nicht träumen lassen, dass dieses Disco-Ding je so gross werden würde.» Der New Yorker wird es wissen, hielt er doch Disco zu einer Zeit die Treue, als in den Klubs ganz andere Beats regierten.
Der Einfluss von Disco ist auch sonst unüberhörbar. Spürbar langsamer tanzt es sich heute als noch vor fünf Jahren, als Minimal Techno den Takt angab. Die Popularität von Disco-Genres wie Balearic oder Nu-Disco hat zu dieser Entschleunigung im Klub geführt. Disco wird heute auch immer öfter mit Spielarten von House gekreuzt. Hybride Genres wie Slomo-House erfreuen sich gerade bei einem jüngeren Publikum enormer Popularität. Und selten waren so viele Samples von alten Disco-Platten in den Klubs zu hören – wenn auch zumeist in zerstückelter Form, die oft kaum mehr Aufschluss über das Original gibt.
Disco in Zürich
Ist der Disco-Zug auch in Zürich eingefahren? Eigentliche Veranstaltungen gibt es kaum. Die grosse Ausnahme ist das Dosci im Klub Zukunft, wo eine verschworene Gilde von Resident-DJ mitsamt internationalen Gästen jeden Donnerstag die Fahne der Disco-Kultur hochhält. Da kann dann schon einmal ein Abend lang obskure Italo-Disco aus den frühen Achtzigern laufen. Wahrscheinlicher ist aber, dass ein eklektischer Mix gespielt wird, von R'n'B, Soul, Boogie, Funk, Pop, House bis hin zu Hip-Hop. Man wolle nicht sektiererisch sein, erläutert Veranstalter Alex «Lexx» Storrer, den man mit Fug als wichtigsten Schweizer Balearic-Akteur bezeichnen darf.
Mit Kathy Diamond gastiert heute Freitag eine Grande Dame der zeitgenössischen Disco-Szene in der «Zukunft»: Die Sheffielder Sängerin mit der samtigen Stimme hat 2007 ein betörendes Album vorgelegt. Produziert hat es das Mastermind Maurice Fulton. Das klingt ein bisschen wie vor dreissig Jahren: Wehmütig schweben diese Songs in einem analogen Synthi-Rausch. «Watch me, see me, love me, push me, pull me», singt Diamond in «All Woman». Ihre Sirenenstimme klirrt über einem verführerisch-wankenden Bass. Oh, wie das glitzert.
Todd Terje: Ragysh (EP, Running Back / WordandSound). Todd Terje: Remaster of the Universe (Permanent Vacation). – Locussolus: Locussolus (International Feel / Rough Trade). – Horse Meat Disco: Horse Meat Disco 3 (Strut/Alive). – Kathy Diamond: Miss Diamond to You (Permanent Vacation / Rough Trade); Diamond tritt heute Freitag in Zürich im Klub Zukunft auf.
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