Freitag, 11. Januar 2008
Djingolesische Bibliothek
Die Prinzessin tut was für die Uni!
Jetzt nutze ich dieses Blog ausnahmsweise als eigene Lern-Motivation und mein Gewissen. Ich schreibe meine letzte (!!!) Seminararbeit in Geschichte. Habe mir als Deadend den 31.1.08 gesetzt. Meinen Fortschritt werde ich dann jeweils bloggen. Dabei bitte ich um Unterstützung, die motiviert! Also keine faulen Sprüche bitte, die werden gleich gelöscht! :)

Da habe ich vor längerer Zeit im Staatsarchiv per Zufall eine bestimmte Akte aus dem Jahr 1914/15 gefunden, die noch kein Mensch vorher bearbeitet hat. Als erstes fällt mir ein handgeschriebener Brief eines Arnold Wyss an die Polizei- und Justizdirektion des Kantons Zürich in die Hände:


(Dort darf man nichts kopieren, also musste ich die ganze Akte fotographieren und dies ohne Blitz, weil es ja dem Dokument schaden könnte…)

Transkription:
Archivalie: Handschriftlicher Brief
Bild: Polizeiakten StAZ 054, 055
Datierung: 7. März 1914

[Seite 1]

Oerlikon, den 7. III. 14.


[Stempel] Justiz- u. Polizeidirektion Zürich, No. 1881, Erledigung: 7. Mrz. 1914

An die Kantonale Polizei- und Justizdirection des Kantons Zürich in Zürich


[später darüber geschrieben] 1

3717

Unter höflicher Bezugnahme auf meine persönliche Vorstellung bei Herrn Reg. Rat. Mousson und gestützt auf beigefaltetes ärztliches Attest des Spezial-Arztes Herrn Dr. Frank in Zürich richte ich an Sie hiermit, das Ihnen vielleicht verwunderlich oder sogar überspannt erscheinende Gesuch, mir die Bewilligung erteilen zu wollen, als Weib zu leben, weibliche Kleidung zu tragen

[Seite 2 und 3 (Doppelseite)]

und weiblichen Beschäftigung nachgehen zu dürfen, und in aller und jeder Hinsicht vor der Welt als Weib gelten zu dürfen, da meine Gefühlsempfindungen total weiblich sind und ich mich in Männerkleidung namenlos unglücklich fühle.
Die Erlangung dieser vorzitierten Erlaubnis ist für mich eine Lebensfrage.
Ich hoffe daher, dass Sie, als die oberste kantonale Behörde, die in derartigen Angelegenheiten competent [?] ist, hier dieser hochrichtigen Lebenswunsch nicht abschlägig beantworten werde.
Es bestehen nun allerdings keine Gesetze, die einem Manne das Tragen von Frauenkleidern

verbieten. Aber dessen ungeachtet, wende ich mich deswegen an die zuständige Behörde, um nach allen Richtungen gedeckt zu sein und nicht Gefahr laufen zu müssen wegen Unfug bestraft zu werden.
Zudem ich auf Ihre Discretion rechne, hoffe ich, dass meinem Gesuche entsprochen werde und in dieser Erwartung zeichne

Hochachtungsvoll
Arnold Wyss,
Baumackerstrasse 63,
Oerlikon,
ab 1. April Aemtlerstr. 48
Zürich II.



Inhaltliche Zusammenfassung der gesamten Akte:
Arnold Wyss aus Zürich trägt Frauenkleider. Wenn er in Männerkleidern angezogen ist, ist er depressiv und lethargisch. Weil er aber nicht wegen „Unfug“ gebüsst werden möchte, schreibt er am 7. März 1914 an die Zürcher Justiz- und Polizeidirektion und bittet um eine Bewilligung zum Tragen von Frauenkleidern. Die Behörde veranlasst einen Psychiater, ein Gutachten über die „Anomalie“ von Arnold Wyss zu erstellen, auf dessen Grundlage sie zu einer Entscheidung gelangt. Gleichzeitig wird die Polizei auf das Verhalten von Arnold Wyss von einem gewissen Bertrand aufmerksam gemacht, insofern die Polizei dieses Tragen von Frauenkleidern doch nicht tolerieren könne. Laut dem psychiatrischen Gutachten stellt Arnold Wyss keine Gefahr für andere dar, wenn er Frauenkleider trägt, und aufgrund dieses Befundes erteilt die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zürich ihm am 30. Juni 1914 die geforderte Bewilligung, allerdings mit der Einschränkung, dass Arnold Wyss kein öffentliches Aufsehen erregen darf. Betreffend einer späteren Anhörung zu einem anderen Rechtsfall vor dem Audienzrichter des Zürcher Bezirkgerichts wird ihm aber in einem Schreiben vom 17. November 1915 untersagt, bei weiteren Anhörungen Frauenkleider zu tragen, da es möglich wäre, an einer amtlichen Anhörung öffentliches Aufsehen zu erregen.

Folgende Fragen will ich in meiner Arbeit beantworten:
1. Was bedeutet „Transvestitismus“ und wie begründete sich dieser Begriff im historischen Kontext?
2. Warum stellt Arnold Wyss ein Bewilligungsgesuch zum Tragen von Frauenkleidern an die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zürich, obwohl das Tragen von Kleidern des anderen Geschlechts nicht verboten ist?
3. Worauf stützt sich die Bewilligungserteilung argumentatorisch?
4. Wie wurde mit dem Phänomen „Transvestitismus“ am Beispiel des Arnold Wyss anfangs des letzten Jahrhunderts in Zürich umgegangen?

Forschungsstand:
Zum Thema „Transvestismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Zürich“ ist keine konkrete Literatur zu finden. Im Gegensatz zu „Transvestismus“ ist „Transsexualität“ im Allgemeinen dagegen oft Untersuchungsgegenstand. Da sich diese Arbeit jedoch auf eine Zeit vor der operativen Geschlechtsumwandlung fokussiert und „bloss“ Cross-Dressing als Gegenstand behandeln will, ist besonders die Monographie „Schnittmuster des Geschlechts: Transvestitismus und Transsexualität in der frühen Sexualwissenschaft” von Rainer Herrn hervorzuheben. Darin wird die Arbeit des Sexualforschers Magnus Hirschfeld zum Thema Transvestismus um die Jahrhundertwende untersucht. Auch wenn sich das Tätigkeitsfeld von Hirschfeld hauptsächlich auf Deutschland bezieht, so ist diese Monographie dennoch interessant, da der in der Quelle beschriebene Arnold Wyss um 1910 von Hirschfelds Arbeit erfährt und direkt mit ihm in Kontakt tritt.

Literatur:
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